Flaschenpostbote Knut und der Kollege vom Land
Flaschenpostbote Knut schwamm vor dem großen Spiegel im Büro auf und ab. Er hatte sich die blaue Uniformjacke angezogen und glatt gezogen, noch einmal mit den Fingern seinen buschigen Schnurrbart gerichtet und die Dienstmütze aufgesetzt. Sogar sein kleiner Kollege, der Seestern Enno, der ihm als Dienstmarke diente, prangte bereits auf seiner Brust.
»Alles, wie es sein soll. Die Arbeit kann beginnen.«
Der alte Meermann schnappte sich seine lederne Umhängetasche, winkte seinem zweiten Kollegen, dem Kraken Fiete und verließ das Flaschenpostamt. Fiete, der mit seinen vielen Armen noch mehr tragen konnte, übernahm die restlichen acht Taschen. Gemeinsam ging es auf Tour durch die Stadt unter dem Meer, damit die Meermenschen und anderen Wasserwesen rechtzeitig ihre Sendungen in Händen, Flossen, Armen und anderen Extremitäten halten konnten.
Wie an jedem einzelnen Arbeitstag, hatte Knut auch dieses mal ein fröhliches Lied auf den Lippen, das er vergnügt vor sich hin pfiff. Manch Passant mochte das seltsam finden, denn zu hören war die Melodie unter Wasser nicht. Stattdessen stieg jede einzelne, gepfiffene Note in einer eigenen Luftblase auf. An der Oberfläche zerplatzten sie nacheinander und gaben das Liedchen wieder frei. Der alte Flaschenpostbote grinste bei diesem Gedanken. Er stellte sich täglich aufs Neue vor, wie die Menschen in ihren Schiffen und Boten Melodien hörten, aber den Pfeifer nicht entdecken konnten.
Knut holte einen Zettel aus seiner Tasche. Darauf war die heutige Route genau aufgeschrieben. »Wir müssen einen Umweg machen. Draußen vor der großen Stadt, steht sich ein Seehund die Füße platt. Er wartet auf einen wichtigen Brief.«
Knut, Enno und Fiete bogen an der nächsten Kreuzung von der Hauptstraße ab und ließen die Häuser schnell hinter sich. Sie mussten nur noch die Seegraswiesen überqueren, die Seetangfelder über einen schmalen Pfad durchschwimmen, um hinter dem tiefen Graben den Empfänger der Flaschenpost anzutreffen, als sie etwas Seltsames entdeckten.
»Bleibt zurück. Das müssen wir uns aus der Nähe anschauen.« Knut schob Fiete hinter einen Felsen und gab Enno zu verstehen, dass er still bleiben sollte.
Vor wenigen Sekunden war ein Mensch von einem Boot aus ins Wasser gesprungen. Er hatte sich in einen hautengen Anzug gekleidet, mit dem er wie eine Presswurst aussah. Auf dem Rücken hingen schwere Metallflaschen, von denen Schläuche zum Mund gingen. Über sie schien er atmen zu können.
»Was hat er dort in der Hand? Ist das ein Brief?«
Knut verdrehte die Augen. Seine Kollegen taten es ihm gleich. Warum tat der Mensch das? So viel sie wussten, gab es keine postalischen Kontakte zwischen den Bewohnern, des Meeres und denen, die an Land bleiben mussten.
Der Mensch tat sich schwer. Obwohl er künstliche Flossen an den Füßen angebracht hatte, war er nicht einmal halb so schnell wie ein Meermensch. Es dauerte mehrere Minuten, bis er den Boden erreicht hatte. Dort reihte er sich in eine lange Schlange ein, denn es gab noch weitere Taucher, die alle das selbe Ziel aufgesucht hatten. Am Grund des Meeres hatte irgendwer einen gelben Briefkasten aufgestellt, ihn sie alle ihre Sendungen einwarfen und wieder zur Oberfläche verschwanden.
Nach und nach wurde es ruhiger, bis kurze Zeit später ein weiterer Mensch ins Wasser sprang. Er war, zusätzlich zur Taucherausrüstung, mit einer Uniformjacke, einer Mütze und einer Dienstjacke ausgerüstet, die ihn als Briefträger auswies. »Beim Klabautermann und allen anderen Meeresgöttern, die mir heilig sind, an Land gibt es tatsächlich auch einen Postdienst.«
Sie beobachteten weiter und sahen dem Briefträger dabei zu, wie er den Briefkasten leerte und die Sendungen zurück an die Luft brachte.
»bei der großen, gefräßigen Muschel. Die Menschen vom Land kommen hierher, werfen die Briefe ein, nur damit sie der Kollege zurück an Land bringt. Das wird mir niemand glauben, wenn ich das in der Stadt erzähle. Ich glaube, der Mann braucht dringend einen Tipp, wie das einfacher geht.«
Schon wollte Knut ihm entgegen schwimmen, von der Erfindung der Flaschenpost erzählen, als ein paar weitere Briefabsender ins Wasser sprangen, um dieses seltsame Postspiel fortzusetzen.
Knut schüttelte den Kopf, lachte und winkte Fiete. »Belassen wir es, wie es ist. Die Menschen werden schon wissen, was sie warum machen. Wir müssen jetzt weiter, damit wir den Seehund nicht verpassen.«
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